Ein großer, offener, leerer Bühnenraum. Vorne sitzt eine Frau am Boden über einen Text gebeugt. Ein literarischer Bericht zum ersten Weltkrieg. Von hinten schleichen sich etliche Gestalten an die Sprecherin an: Schüchtern? Neugierig? Bedrohlich? Die Sprecherin hält inne und schaut sich um. Schon verharren die Gestalten. Haben Sie sich jemals bewegt?

Dies ist einer von vielen fesselnden Bühnenmomenten der letzten DGSS-Tagung in Bochum. Unter dem Titel SprechKunst als PerformanceKunst wird diesmal ein ungewöhnliches Tagungskonzept erprobt. Zuerst wird 1 1/2 Tage lang ein neun verschiedenen Workshops gearbeitet. Dann gibt es einen Tag Bühnenprogramm: Aufführungen, Performances, Einblicke in die Probenarbeit.

Meine persönlichen Höhepunkte:

  1. Die Aufführung/Performance von Xenia Multmeier. Inspiriert vom Fluxus-Begriff ist eine Performance entstanden, die um Borges‘ Bibliothek von Babel kreist. Darum spinnt sich ein Gewebe aus Klang-, Bild- und Textassoziationen. Das Bühnengeschehen fasziniert auch durch seine perfekte Choreografie. Nach nur 1 1/2 Tagen gemeinsamer Arbeit ausgesprochen beachtlich. Dennoch enthält die Aufführung zahlreiche offene Momente: Noch kurz vor der Aufführung wird mein Sitznachbar nach einer Szene aus seinem Lieblingskrimi gefragt. Zehn Minuten späten begegnen mir die gefüllten Tomaten, die der Kommissar zur Beruhigung isst auf der Bühne wieder.
  2. Der Workshop von Hans-Martin Ritter, an dem ich selbst teilnehmen durfte. In unserem Workshop experimentieren wir mit Textfragmenten von Shakespeare. Fast die ganze Zeit verbringen wir damit, einfach gemeinsam mit dem Textmaterial zu improvisieren und zu spielen. Zwischendurch taucht in meinem Kopf die Frage auf: „Sollten wir nicht irgendwann noch eine Aufführung vorbereiten?“ Doch dann fügen sich die Improvisationen und Experimente mit einem Mal zu einem zusammenhängenden Ganzen. Sogar ein assoziativer Handlungsfaden wird erkennbar. Mir bleibt besonders die spielerische und entspannte Leichtigkeit in Erinnerung, mit der wir gemeinsam gearbeitet haben.
  3. Sarah Gieses Workshop zum Thema physical theatre. Offiziell wird ein Ausschnitt aus dem Probenprozess, also ein Zwischenschritt der Arbeit gezeigt. Die Darstellung ist aber derart ausdrucksvoll, dass sie für mich als als ‚fertige‘ Bühnenperformance durchgehen könnte. Insgesamt zehn Personen füllen die Bühne mit Textfragmenten und Bewegungsabfolgen. Die Darsteller sind gleichzeitig präsent und ausgesprochen individuell in ihrer Ausdrucksweise. Aus Sarahs Workshop stammt auch die zu Anfang geschilderte Szene.

Neben Workshops und Aufführungen ist die DGSS-Tagung natürlich auch das große Jahrestreffen der Sprecherzieher. Ein großes Wiedersehen mit vielen wunderbaren Menschen, die man viel zu selten sieht. Auch das Sprechwege-Team ist diesmal (fast) komplett vor Ort. Sogar mit Alexander Roggenkamp, der aus Athen vermutlich die weiteste Anreise aller Tagungsteilnehmer hatte.

Annette Mönnich als Tagungsorganisatorin tut alles, um für eine gute Atmosphäre zu sorgen. So kehren wir nach 2 1/2 viel zu kurzen Tagen sehr herzlich und mit Unmengen an Bühnenanregungen wieder aus Bochum zurück.